Er ist eine imposante Pflanzengestalt – in seiner mexikanischen Heimat ebenso wie in den Sammlungen vieler hiesiger Kakteenfreunde. Echinocactus grusonii, den der Volksmund wenig liebevoll „Schwiegermuttersessel“ oder „Schwiegermutterstuhl“ nennt, wird manchmal auch als „Goldkugelkaktus“ bezeichnet. Die Deutsche Kakteen-Gesellschaft e.V. (DKG) ernannte ihn jetzt zum Kaktus des Jahres 2008.
Fast alle Kakteen stammen ursprünglich aus Amerika. Warum also ein „Kaktus des Jahres“ in Deutschland? Die Wasser speichernden Bewohner von Trockengebieten haben hierzulande ihre weltgrößte Fan-Gemeinde. Der DKG gehören über 5000 Pflanzenfreunde an. Sie sind immer wieder aufs Neue von den exotischen Wuchsformen und der Schönheit ihrer Kakteen begeistert, auch wenn beim Umtopfen schon einmal Blut fließen kann… Sie haben sich unter anderem der Aufgabe verschrieben, zum Schutz gefährdeter Kakteen beizutragen, z. B. durch gezielte Vermehrung. So kommt es, dass von vielen Kakteenarten inzwischen mehr Exemplare in deutschen Sammlungen stehen als in den Heimatgebieten auf der anderen Seite des Atlantiks. Der Schwiegermuttersessel ist wohl der prominenteste Vertreter, auf den dies zutrifft.
Alte Exemplare erreichen Durchmesser von ca. 80 cm und Höhen von ca. 1,30 m. Sie übersteigen damit durchaus die Größenordnung gewöhnlicher Sitzmöbel. Über 30 Rippen ermöglichen dem Kaktus flexibles Reagieren auf Wassergaben: sie können sich bei Feuchtigkeitsaufnahme wie eine Ziehharmonika dehnen und ziehen sich bei zunehmender Austrocknung allmählich wieder zusammen. Das Wasserreservoir im Inneren des Kaktus weckt in der Wüste leicht Begehrlichkeiten und will daher vor durstigen Tieren wirkungsvoll geschützt sein: Die ganze Oberfläche des Schwiegermuttersessels ist dicht von gelblichen, leicht bogenförmig gekrümmten, bis 5 cm langen Dornen umgeben. Sie entspringen in Gruppen zu 11 bis 14 an bestimmten Stellen der Rippenaußenkanten, den so genannten Dornpolstern oder Areolen.
Das Zentrum der Kaktuskugel, wo die besonders empfindliche Wachstumszone liegt, weist zusätzlich einen dichten gelblichen Haarfilz auf, der Schäden durch Sonnenbrand verhindert. In dieser dicht behaarten Zone findet man bei alten Pflanzen auch die Blüten. Sie sind wie die Haare gelb gefärbt, glockenförmig und nur etwa 5 cm groß. Die bräunlich vertrockneten Blütenblätter markieren später die Lage der heranreifenden Früchte, die viele winzige Samen enthalten: Es ist kaum zu glauben, dass der stattliche Schweigermutterstuhl aus einem weniger als 2 mm kleinen Samenkorn hervorgeht.
Die Heimat des Schwiegermutterstuhls liegt in Zentralmexiko, wo die Pflanzen in einem kleinen Areal in etwa 1400 m Meereshöhe an Hängen zwischen vulkanischen Felsen wachsen. In den 1990er Jahren wurde ein Großteil der natürlichen Bestände im Tal des Rio Moctezuma durch das Zimapan-Staudammprojekt vernichtet. Die internationale Naturschutzorganisation IUCN schätzte die Zahl der in dieser Region auf einer Fläche von etwa 10 km2 noch vorhandenen Wildpflanzen in ihrer letzten Erfassung auf unter 250. 2003 wurde 550 km entfernt von diesem bisher bekannten Verbreitungsgebiet ein weiteres, bis dahin unbekanntes Vorkommen der Art durch europäische Kakteenfreunde entdeckt. Genauere Untersuchungen sollen zeigen, welche Unterschiede es zwischen diesen Populationen gibt und ob vielleicht noch weitere, bisher unentdeckte Vorkommen existieren.
Echinocactus grusonii ist heute durch verschiedene nationale und internationale Artenschutzregelungen geschützt. Die Art steht in der Roten Liste der IUCN als extrem gefährdet (critically endangered); sie ist im Anhang II des Washingtoner Artenschutzübereinkommens (CITES) aufgeführt. Wildpflanzen unterliegen damit einem strikten internationalen Handelsverbot.
Bei uns angebotene Exemplare stammen aus gärtnerischer Vermehrung. Sie werden meist in wärmeren Gegenden, z. B. auf den Kanarischen Inseln, angezogen. Der Schwiegermuttersessel stellt für Kakteen typische Kulturansprüche: ein durchlässiges Pflanzsubstrat, das den empfindlichen Wurzelhals vor Staunässe schützt, viel Sonne und regelmäßiges Gießen in der Wachstumszeit zwischen April und September, einen kühlen, trockenen Standort im Winter. Am Ende der Winterruhe sollte man die Pflanze behutsam an sonnigere Verhältnisse gewöhnen.
Der wissenschaftliche Name Echinocactus grusonii erinnert übrigens an den Magdeburger Industriellen und Erfinder Hermann August Jacques Gruson (13.03.1821 – 30.01.1895), der seinerzeit die größte Kakteensammlung Europas besaß. 1886 erkannte der Kakteengärtner Heinrich Hildmann in Birkenwalde bei Berlin die Art als neu für die Wissenschaft, gab ihr den Namen und veröffentlichte erstmals eine Beschreibung der Pflanze.
Als Kaktus des Jahres 2008 symbolisiert Echinocactus grusonii Attraktivität und Kulturwürdigkeit, zugleich aber auch die Gefährdung von Kakteen als Teil unserer globalen und noch lange nicht vollständig erforschten Biodiversität.